10.10.2019 12:21

Fotografin: Nicol Marschall

Doppelter Neuanfang: Nationalspielerin und Auszubildende Natalie Wilczek im Interview

Die 19-jährige gebürtige Schwedterin hat neben ihrer erfolgreichen Karriere im Volleyball zusätzlich dieses Jahr an der ESAB Beruflichen Schule in Potsdam ihre Berufsausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin gestartet.


Potsdam, 28.10.2019

Von der Schwedter Ersatzbank in die Nationalmannschaft

"Liebe auf den ersten Blick – das war es wohl von beiden Seiten nicht. „So richtig Feuer und Flamme war ich anfangs nicht“, gibt Natalie Wilczek mit Blick auf ihre ersten Annäherungsversuche in Richtung Volleyball zu. Und auch der Volleyball schien die damalige Zweitklässlerin nicht wirklich zu mögen. „Eigentlich war ich eine komplette Niete und saß immer auf der Bank“, so Wilczek. Doch seitdem hat sich viel, sehr viel verändert. Aus der siebenjährigen Schülerin in Schwedt ist eine 19-Jährige Potsdamerin geworden, aus der Zweckbeziehung eine echte Leidenschaft und aus der Bankdrückerin eine deutsche Nationalspielerin.

Doch wie kam es dazu? „Klick gemacht hat es, glaube ich, erst relativ spät in der U14“, erinnert sich die junge Mittelblockerin zurück. Damals habe sie das erste Mal wirklich gespielt und aus dem „coolen Hobby, das man so nebenbei machen kann“, wurde mehr. „Ich weiß auch nicht genau, warum ich dann plötzlich besser wurde. Vielleicht habe ich härter an mir gearbeitet.“

Diese härtere Arbeit zahlte sich schnell aus. In der neunten Klasse wechselte Natalie an die Sportschule nach Potsdam und noch vor ihrem Abitur in den Bundesliga-Kader des SC Potsdam. Plötzlich stand sie mit ihren Vorbildern wie Lisa Gründing gemeinsam auf dem Parkett. Als Nachwuchsspielerin hatte sie Gründing und Co. oft nach dem eigenen Training noch bei deren Übungseinheiten beobachtet und gedacht: „Da will ich auch mal hin.“ Nun war sie schneller dort als irgendjemand erwartet hatte und die ersten Eindrücke waren überwältigend: „Bei meinem ersten Bundesliga-Heimspiel in Potsdam war ich total geflasht. Beim Einlaufen werden die Spielerinnen ja immer einzeln aufgerufen und von den Zuschauern bejubelt. Da habe ich gedacht: Bei mir als Nobody wird es bestimmt leise. Aber sie haben mich trotzdem angefeuert. Das war wie im Traum.“

Und diesen Traum lebt sie immer noch – und er wird größer und größer, denn in diesem Jahr folgte sogar die Einladung zur deutschen Nationalmannschaft. „Die Einladung an sich war gar nicht so spektakulär. Ich habe einfach eine E-Mail bekommen mit einer langen Namensliste und den nächsten Terminen“, sagt Natalie. Und auf der Liste, „auf die so viele rauf wollen“, stand ihr Name, stand Natalie Wilczek. „Da habe ich gedacht: ‚Wow, ich habe es geschafft.“ Tatsächlich schaffte sie es auch zu ihren ersten Einsatzminuten im Nationaltrikot in der Nations League. Dass es für einen Einsatz bei der Europameisterschaft anschließend doch noch nicht reichte, war für sie keine Enttäuschung. „Ich versuche immer alles positiv zu sehen. Ich war nicht sauer, sondern hatte Verständnis für die Entscheidung des Bundestrainers. Schließlich muss er die Besten spielen lassen.“

Und zu denen zählt sich die 19-Jährige noch nicht. „Ich muss noch sehr, sehr viel an mir arbeiten, um dieses Niveau zu kommen“, gibt Natalie, die mit ihren Angaben die Gegnerinnen schon mal zu Verzweiflung bringen kann, angenehm selbstkritisch zu. „Beim Block bin ich noch etwas zu hibbelig, denke zu viel und verpasse das richtige Tempo. Im Angriff brauche ich mehr Variationen und Tempo und mehr Kommunikation“, zählt sie auf.

Doch an sich arbeiten hat die junge Frau gelernt. Denn so glatt und direkt der Weg in die Bundesliga und das Nationalteam auf den ersten Blick auch wirkt, er war nicht frei von Hindernissen. Besonders der Übergang von der Zweitvertretung des SC Potsdam in die Eliteliga „war echt schwierig. Ich hatte zwar schon mit der Bundesliga-Mannschaft trainiert, aber es war ein komplett anderes Spieltempo und eine andere Umgangsweise.“ Eine andere Umgangsweise? „Ja, in der zweiten Mannschaft haben wir gespielt, um uns weiterzuentwickeln. Jetzt geht es auch darum, etwas zu erreichen.“

Etwas erreichen, das will Natalie Wilczek nach den ersten Einsätzen in der Nationalmannschaft auch weiterhin. Deswegen steht auf ihrem Wochenplan nicht nur das tägliche Training mit dem SC Potsdam, sondern auch die Ausbildung zur Erzieherin bei der ESAB Beruflichen Schule Potsdam. „Meinen Sport kann ich nicht eine Ewigkeit machen. Deswegen versuche ich schon, die ersten Bausteine für die Zukunft zu legen, um später dann darauf aufbauen zu können. Dafür ist dieses Konstrukt mit SC Potsdam, ESAB und Olympiastützpunkt perfekt.“ So bastelt sie täglich im Bausteinsystem auch ihren Tagesablauf zusammen. „Am Morgen bin ich in der Schule. Um zehn Uhr geht es dann oft zum Training, anschließend wieder in die Schule. Und abends ist dann noch mal Training“, beschreibt sie ihre langen Tage, an denen eigentlich nicht mehr viel Zeit für anderes bleibt.

Dennoch nimmt sich Natalie ab und an eine Auszeit, um zu lesen und zu kochen. Dann stehen Bücher von Charlotte Link und Basmati-Reis mit Kokosmilch und Hähnchenstreifen im Mittelpunkt. Doch schnell wandert der Fokus anschließend wieder auf den Volleyball, auf ihre Leidenschaft, auf ihren Traum."

(Quelle: https://lsb-brandenburg.de/sportjournal/2019/2019_09/mobile/index.html)