16.07.2023 23:44

Symposium bringt Expert:innen aus Praxis und Wissenschaft zusammen


Am 10.07.2023 fand an der ESAB Fachhochschule für Sport und Management Potsdam ein internationales Symposium zur bewegten Gestaltung des Übergangs vom Elementarbereich zum Primarbereich statt. Positive Transitionserfahrungen zwischen Kindergarten und 1. Klasse haben eine enorme Bedeutung für Entwicklungsprozesse und legen den Grundstein für eine gelungene Bildungskarriere. Diese Phase ist sowohl aus wissenschaftlicher als auch praktischer Sicht im Kontext von Bewegung, aktivem Spiel und Sport noch stark unzureichend aufgeklärt und mit zu wenigen guten Gestaltungsstrategien versehen.

Rund 130 Teilnehmer:innen aus Deutschland, der Schweiz und Belgien sind an diesem Tag in das neue Haus des Sports am Olympischen Weg gekommen, um diesem Desiderat mit Forschungsergebnissen und eigenen bewährten Ideen aus der Praxis zu begegnen. Die inhaltliche Leitung und Moderation der Veranstaltung übernahm Prof. Dr. Christian Andrä.

Das Symposium startete mit einem Vortrag von Dr. Katrin Adler von der FH Nordwestschweiz, die brandaktuelle Forschungsergebnisse zur körperlich-sportlichen Aktivität aus einer Längsschnittstudie mit Kindergarten- und Schulkindern aus Basel (Schweiz) vorstellte und zugleich Befunde aus Deutschland lieferte. Sie verwies auf geschlechtsspezifische Besonderheiten im Übergangsprozess, auf eine verminderte Aktivitätszeit und Partizipation an organisierten Bewegungsangeboten nach dem Schuleinstieg sowie auf die Notwendigkeit einer systematischen Einbindung vieler Bewegungsmomente in den Kindergarten- und Schulalltag.

Anschließend erfolgte eine kurze Bewegungspause, durchgeführt von Prof. Dr. Christian Andrä, welche für die nötige (körperliche) Abwechslung vor dem zweiten Hauptvortrag sorgte.

Dr. Stephanie Bahr, von der Universität Köln stellte Herausforderungen und Anforderungen heraus, die sich für Kinder und deren Familien im Übergangsprozess auf individueller, kontextueller und interaktionaler Ebene ergeben. Eine ganz besondere Bedeutung wies sie der frühen Entwicklung von Selbstwirksamkeit und Resilienz zu. Die Chance Bewegung als Medium der Herausbildung von Basiskompetenzen und Schutzfaktoren für die Übergangsbewältigung einsetzen zu können, verdeutlichte sie mit einer Vielzahl an Ideen, Handlungsempfehlungen und Ansätzen aus der Psychomotorik.

Die hohe Expertise und große Leidenschaft der Hauptrednerinnen für dieses relevante Thema der bewegten Gestaltung des Übergangs Kindergarten-Schule führten zu einer angeregten Diskussion mit den Teilnehmer:innen aus Kindergärten, Schulen, Sportvereinen und -verbänden, Ministerien und Wissenschaft.

Im Anschluss folgten die Workshops mit insgesamt 5 Expert:innen(gruppen).

Prof. Dr. Hagen Wulff, Vertretungsprofessor von der Universität Potsdam referierte zu bewegungsorientiertem Verhaltenstraining zur Förderung von prosozialem Verhalten. Konkret kann konstatiert werden, dass prosoziales Verhalten eine wichtige Rolle zur Kompetenzentwicklung und Konfliktbewältigung spielt und dass Bewegung hier einen unterstützenden Faktor darstellt. Dabei gilt zu beachten, dass etablierte Regeln und Rituale geplant und durchgehalten, sowie Kompetenzen zur Selbststeuerung entwickelt werden. Außerdem ist es sehr bedeutend, Gefühle sichtbar zu machen. Alles in allem sollten vielfältige Handlungsstrategien zur positiven Verstärkung entwickelt werden. Dieser Inhalt wurde anhand von mehreren Bewegungsspielen des Referenten und der Anwesenden praktisch und theoretisch erarbeitet.

Tina Kowalzik, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin in der „Fachdidaktik Sport unter Berücksichtigung der Primarstufe“, leitete den Workshop zur Körpererfahrung. Darin wurden unterschiedliche Formen des (aktiven) Lernens im Zusammenhang mit Bewegung thematisiert und verschiedene Körperbegriffe diskutiert. Über den Erfahrungsbegriff erfolgte der Übergang zu unterschiedlichen Leibbegriffen und deren Bedeutung für die pädagogische Praxis. Es kann bilanziert werden, dass die Körpererfahrung zur Freude am lebenslangen Bewegen und einer damit verbundenen ausgeprägten Handlungsfähigkeit führt.

Hendric Frahm, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FHSMP im Bereich der Bewegungs- und Sportpädagogik, thematisierte die Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen im und durch den Sport. Es wurde im Rahmen der Erwachsenenpädagogik und Ermöglichungsdidaktik erarbeitet, dass Auffälligkeiten meist bei einer Überforderung und Unsicherheit auftreten und es an Selbstregulation fehlt. Hierbei ist es wichtig, als Außenstehende:r die Perspektive des Kindes einzunehmen, damit die Funktion des Verhaltens aus Sicht der Kinder betrachtet werden kann. Dafür sollte ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, um diesen Kindern zweite Chancen zu ermöglichen. Als konkrete Handlungsoptionen kamen Variationsmöglichkeiten von Bewegungsspielen (z.B. mit Fokussierung auf Rollenveränderungen, Verantwortungswechsel und einen Kontrast zwischen Nähe und Distanz) auf und wurden analysiert.

Im Workshop der AG Lebenskompetenz traten verschiedene Expert:innen auf, die die Bewegungsförderung in Brandenburg in unterschiedlichen Bereichen vorstellten. Dr. Harald Schmid lieferte einen entsprechenden thematischen Input. Stefan Ludwig berichtete aus der Arbeit von Alba Berlin und stellte die digitale ALBAthek vor. Sylvia Hoyer präsentierte Projekte der Brandenburgischen Sportjugend und Paula Teich führte in Erkenntnisse und Perspektiven des Emotikon-Projekts ein. Zusammenfassend wurde anhand dieser Praxisbeispielen klar, wie Bewegung gesundheitsbezogene Lebenskompetenzen fördern kann. Die Bedürfnisse der Kinder müssen beachtet werden, damit sie gestärkt ins Leben gehen. Wichtig ist dabei, auf Bewegung zu sensibilisieren und nicht nur auf Sport. Es stellte sich in offener Diskussion heraus, dass ein größerer Fokus auf Öffentlichkeitsarbeit nötig ist.

Den fünften Workshop leitete Prof. Dr. Christian Andrä selbst. Bei ihm ging es um die unterschiedlichen Bereiche des bewegten Lernens und die große Bedeutsamkeit der Anwendung in der Praxis, damit Lernprozesse sinnhaft erleichtert werden können. Dafür braucht es eine feste Verankerung in der Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte. Eine weitere Voraussetzung ist eine institutionelle Verankerung, insbesondere in Schule, Kita und den Ministerien. Somit kann eine bessere Infrastruktur für bewegtes Lernen geschaffen werden, damit dies wiederum an der Basis ankommt und die Lernfreude und dadurch auch die Lernergebnisse eine entsprechende Steigerung erfahren.

In der abschließenden Podiumsdiskussion diskutierten drei Expertinnen aus unterschiedlichen Bildungseinrichtungen (Kindergarten, Grundschule und weiterführende Schule) mit Dr. Gutschow als Präsidiumsmitglied des LSB Brandenburg und Vertreter für den Bereich Sport. Die Expert:innenrunde wurde geleitet von Prof. Dr. Christian Andrä.

Die Kitaleiterin Daniela Reimer von der Kita Zauberstein in Potsdam stellte aus persönlicher Erfahrung fest, dass die Kinder wieder grundlegende Dinge lernen müssen (z. B. ohne Festhalten die Treppe hochlaufen). Einfache Aufgaben bei gewohnten Tätigkeiten fördern die entsprechende Entwicklung, vor allem wenn sich die Eltern zurücknehmen.

Dr. Stephan Gutschow betonte die Wichtigkeit einer gezielten Bewegungsförderung, denn die motorischen Fähigkeiten gehen seit Jahren entsprechend zurück. Nur freies Spiel reicht für eine gesunde, bewegungsorientierte Entwicklung nicht (mehr) aus. In diesem Zusammenhang wurde erneut die Forderung nach gut qualifiziertem Personal laut und er appellierte an eine Zusammenarbeit von Vereinen, Bildungseinrichtungen und Eltern.

Frau Dietzel (Grundschule Nord in Hennigsdorf) berichtete von einer Bewegungsintervention in ihrer Einrichtung mit vier unterschiedlichen Interventionen (regelmäßige Bewegungs-aufgaben während des Unterrichts, Einsatz von Stehpulten, Bewegungshausaufgaben und einer zusätzlichen Sportlehrkraft). Dies ist eine Machbarkeitsstudie zur Erhöhung der Bewegungsförderung in einer sozial schwachen Gegend und basiert auf einer Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt Oberhavel, der Universität Potsdam und der FHSMP. Eine Kernaussage aus den Gelingensbedingungen der Studie war, dass solche Vorhaben stark mit einer positiven Einstellung der Lehrkräfte verbunden sein müssen.

Letztlich berichtete Nicole Pohlhaus vom Gymnasium Palmengarten in Leipzig, welche Kompetenzen die Kinder und Jugendlichen brauchen, um erfolgreich auf dem Gymnasium bestehen zu können. Zu wissen, wie man selbstständig sinnvoll lernt, vor allem eben auch in Bewegung, ist da ein entscheidender Faktor. Das Ziel sind gut entwickelte Selbstkompetenzen, die in den davorliegenden Jahren vor allem auch durch Aktivität und Spiel ausgeprägt werden können. Frau Pohlhaus sprach von der Wichtigkeit der Individualisierung, was nicht bedeutet, dass Einzelkämpfertum gefördert werden soll - ganz im Gegenteil, das gemeinsame Lernen ist genauso bedeutend. Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass dieses Gymnasium in unterschiedlichen Aspekten eine echte Vorreiterrolle für moderne Bildung einnimmt. Nicht zuletzt durch Projekte wie Achtsamkeit, Klassenkochen, Bewegte Schule und Lernen nach Biorhythmus ist es derzeit das beste Gymnasium Sachsens (ausgezeichnet vom Kultusministerium) - und dies als staatliche Einrichtung.

Als Fazit bleibt, dass alle Expert:innen sowie Gäste, das Symposium zu einem großen Erfolg machten und es ist zu hoffen, dass alle, die an der Entwicklung unserer Kinder und Jugendlichen beteiligt sind, einen guten bewegten Übergang in die Anwendung der neu gewonnenen Erkenntnisse haben werden.